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bewusstsein_was_bedeutet_das_im_kontext_der_praktischen_lebensbewaeltigung

Bewußtsein — was bedeutet das im Kontext der praktischen Lebensbewältigung?

Hier soll es primär um den lebenspraktischen Aspekt gehen. Deshalb wollen wir einige typischen Fragen näher erörtern:

Sich ändern oder sich akzeptieren?

Frage:

  • Inwieweit bedeutet Bewußtheit eine Verpflichtung, sich zu ändern? Geht es hier darum, an sich zu arbeiten oder sich zu entwickeln? Oder wird jeder, der teilnehmen möchte, in seinem So-Sein voll akzeptiert und gefördert? Mit anderen Worten: Liegt der Schwerpunkt nun auf Disziplin und Selbstdisziplin, so wie bei kämpferischen Wegen, oder mehr auf Loslassen, Zulassen und Sich-Entspannen, wie bei Wegen, die eher die Hingabe und Akzeptanz betonen?


Antwort:

Das Interessante an dieser Frage ist, daß sie einen ganz grundsätzlichen Aspekt aller sogenannten "spirituellen Wege" anspricht und damit auch den Kern der in diesem Bereich und in den unterschiedlichen „Angeboten“ vertretenen Herangehensweisen. Was bedeutet Bewußtsein praktisch? Läßt man alles so, wie es ist, und akzeptiert die eigene Natur so, wie sie sich nun gerade äußert, oder versucht man hier einzugreifen und eine Veränderung herbeizuführen?

Zu alledem ist nun gerade dieser Begriff „Bewußtsein“ der Schlüssel. Denn von außen kann man keinem Menschen sagen, er sei richtig oder falsch bzw. sein Verhalten sei richtig oder falsch. Das gilt sogar, wenn er offenkundig glücklich oder unglücklich ist. Er kann ja z.B. glücklich (oder unglücklich) sein, während er einer Illusion verfallen ist, oder er kann sich anderweitig täuschen (oder vollkommen richtig liegen), selbst wenn es dem Außenstehenden komplett anders erscheinen mag!

Bewußtsein bedeutet, fortzukommen von einer veräußerlichten Sicht. Das Alltagsleben thematisiert Bewußtsein deshalb nicht, weil es seine ganz eigenen Maßstäbe besitzt und an jedes Wesen anlegt. Der Mensch ist dann Bürger, Staatsbürger, Familienvater oder Mutter, Angestellter oder Unternehmer usw. Das alles sind Rollen. Diese Rollen kommen von außen. Sie machen den einzelnen zum Objekt eines Weltbildes, sie "verobjektivieren" ihn und sein Dasein. Er verhält sich dann so, wie die jeweilige Rolle es von ihm verlangt. Hinzu kommen weitere Erwartungen und Normen, wie etwa die in der Kultur vorherrschende Moral.

Genau so werden ja Kinder konditioniert: ihre ureigene Natürlichkeit wird in Erziehung und Schule an die Normen einer Gesellschaft angepaßt, die mit diesen Menschen etwas vorhat. Durch diese Normen, durch Bewertungen (beispielsweise Zensuren, oder durch die Gabe bzw. den Entzug von Zuneigung und Lob, durch Bezahlung usw.) wird der Mensch dann geformt. Schließlich beginnt er die äußeren Maßstäbe für wichtiger zu halten als sein eigenes Empfinden. Dieses geht mehr und mehr unter; manchmal verkümmert es auch fast vollständig.

Die Wiederentdeckung der eigenen Wahrheit ist so gut wie ausschließlich nur in einem praktischen Feld von Bewußtheit und mit den dazu passenden Menschen möglich. Denn es ist eine Kraft nötig, die dem einzelnen hilft, wieder aus der Konditionierung zu entfliehen. Da er diese ja bereits tief verinnerlicht hat, kann er das nicht selbst bewerkstelligen. Ähnlich wie ein Zahnarztpatient, der sich nicht selbst die Zähne verarzten kann, braucht er eine Unterstützung, um sich wieder so zu sehen, wie er wirklich ist.

Gleichzeitig hilft ihm das Umfeld einer Gruppe Gleichgesinnter, nämlich das dort herrschende Klima von höherer Wahrhaftigkeit und Authentizität, selbst ein immer besseres Gespür dafür zu bekommen, was an ihm echt und was unecht ist.

Bewußtsein ist also in diesem praktischen Sinn ein wahrhaftiges Sich-Sehen. Es ist nicht im ersten Schritt ein Sich-Ändern-Wollen als Reaktion auf das Gesehene! Das zu verstehen ist elementar wichtig! Die Reaktion kommt stets aus dem bewertenden Verstand bzw. aus dem Ego, das das Gesehene sofort weghaben will. Bewußtheit bedeutet hingegen, erst einmal neutral hinzuschauen und alles so zu lassen, wie es ist. Das bloße neutrale Hinschauen löst dann etwas ganz anderes aus als das Weghaben-Wollen eines vermeintlichen Fehlers.

Die letztgültige Instanz, ob etwas an einem richtig oder falsch, gut oder schlecht ist, ist das eigene Gewissen, nichts und niemand Äußeres. Deshalb ist ein echtes praktisches Feld von Bewußtheit auch keine Glaubensvereinigung, keine weltanschauliche oder ideologische Gruppe. Gruppen und Richtungen, die einem von außen aufpfropfen wollen, was an einem wünschenswert ist und was nicht, sind nur degenerierte Kulte, die das schmutzige Handwerk der spirituellen Konditionierung betreiben. Leider gilt das aber für praktisch alle derartigen Aktivitäten. Daß es auch anders geht, gehört nun inzwischen fast schon zum „Geheimwissen“ weniger Aufgeklärter.

Meditation, Konzentration oder etwas anderes?

Frage:

  • Bewußtsein: ist das Meditation, Konzentration oder etwas anderes? Wie wird man bewußter? Soll Bewußtwerdung in speziellen Übungssituationen geübt werden oder bezieht sie sich auf den gesamten Alltag?


Antwort:

Die Frage greift indirekt die üblichen "spirituellen Wege" und ihre Methoden auf. So hat etwa „Meditation“ im Westen eine ganz bestimmte Assoziation: Man nehme z.B. die in Esoterikshops erhältliche Meditationsmusik. Das ist meistens eine beruhigende, keine besonderen musikalischen Anforderungen stellende Hintergrundmusik, bei der man sich entspannen kann, soll oder möchte. Wenn die üblichen Boulevard-Illustrierten und -magazine „Meditierende“ zeigen, dann sitzen diese mit geschlossenen Augen im Schneidersitz da und wirken irgendwie entrückt. Ist das Bewußtheit? Oben ging es bereits um Loslassen oder Sich-Anstrengen. Analog kann man das im geistigen Bereich in „Sich willentlich konzentrieren“ oder in „Sich einfach entspannen“, bis hin zur schläfrigen Trance, differenzieren. Gemeint sind hier stets mentale Zustände. Aber auch Gefühlszustände: man soll sich behaglich fühlen, nach Möglichkeit glücklicher usw.

Bewußtsein hat mit alldem nicht das geringste zu tun. Deshalb wird das Wort von den üblichen „spirituellen Wegen“ auch so selten verwendet. Bewußtsein ist nämlich etwas ganz Einfaches, Nüchternes und direkt Naheliegendes. Genau genommen kann es gar nichts Naheliegenderes geben. Es ist kein Zustand, und man kann es auch nicht üben. Es ist einfach das, was jetzt da ist.

Natürlich klingt das banal. Aber das Alltagsdenken ist eben völlig verdreht. Das Allerletzte, was das Alltagsdenken kennt, ist das, was jetzt da ist. Das Alltagsdenken lebt immer in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Es meidet die Gegenwart. Es träumt, fantasiert, projiziert lieber und versetzt sich lieber in „Zustände“. Insbesondere sucht es neuere, bessere, angenehmere, glücklichere „Zustände“. Der genaue dahinterstehende Mechanismus wird im NR-Wiki-Beitrag zu Identifizierung erklärt. Sogar die „Meditation“ der „Meditationsmusik“ ist das: Identifizierung.

Man muß von diesen Hirngespinsten und falschen Sentimentalitäten ablassen und ganz nüchtern, einfach und direkt in die Gegenwart zurückkommen, um Bewußtsein zu verstehen. Das ist kein künstliches Sich-Zurückziehen in eine Innenwelt, sondern was dann geschieht, ist: Man fällt zugleich in sich selbst zurück, aber auch in die wirkliche Welt. Es gibt da keine Trennung Innen/Außen mehr! Denn wenn es keine Zustände mehr gibt und keine Träume und Projektionen, so ist das, was noch bleibt, das, was eben jetzt da ist, und das ist „innen“ wie „außen“ zugleich da.

Das Ego schafft die Trennung. Aber das Ego kann nur in der Zeit existieren, nicht im Jetzt der Gegenwart. Ohne Ego gibt es die Trennung nicht mehr. Dann stellt sich automatisch Bewußtheit ein, denn das Bewußtsein ist bereits da und hat auf einen nur gewartet. Es ist nichts Neues. Es braucht nur wiederentdeckt zu werden.


Gerd-Lothar Reschke 06.02.2011 18:09
Gerd-Lothar Reschke 19.02.2011 09:31


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bewusstsein_was_bedeutet_das_im_kontext_der_praktischen_lebensbewaeltigung.txt · Zuletzt geändert: 5.02.2024-12:13 von gerdlothar

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