Regeln
→ Ouspensky: Auf der Suche nach dem Wunderbaren - Warum Regeln? [intern]
Frage: Weshalb erwartet jede Innere Schule die Befolgung von Regeln?
Antwort: Solche Regeln sind nicht dazu da, um jemand zu unterdrücken oder ihn zu zwingen, Dinge zu tun, die er nicht will. Zuerst einmal muß man verstehen, was geschieht, wenn einer immer genau das tut, was er gerade am liebsten möchte. Ein vom Falschen Selbstbild regierter Mensch wird dann immer nach seinen Gewohnheiten und seiner Bequemlichkeit leben. Am liebsten würde er sich hinlegen und sich die gebratenen Tauben in den Mund fliegen lassen. Das ist genau, wie das Ego funktioniert. In Wirklichkeit ist genau das sein Unglück, und er wird sich, bei aller versuchten Befriedigung all seiner Wünsche und Träume, so auch nicht glücklich fühlen, sondern bloß immer unglücklicher.
Nur wer reif genug ist, diesen Zusammenhang zu merken, entwickelt ein Magnetisches Zentrum. Er spürt, oder er ahnt, daß es so mit ihm nicht weitergeht. Er ist Sklave, nicht frei. Er braucht Hilfe. Würde er nun, wo er diese Hilfe angeboten bekommt, sofort wieder in die Haltung verfallen, alles nach eigenem Gutdünken selbst bestimmen zu wollen, dann wäre er nur zum Schein in einer derartigen Schule, aber nicht wirklich. Profitieren kann er nur, wenn er sich auf Ungewohntes einläßt. Und Ungewohntes bedeutet nun einmal, die alten Gewohnheiten zu durchbrechen. Das mag vorübergehend unangenehm sein, aber nach einiger Zeit kann — wenn es eine echte Schule ist und keine auf Anpassung ausgelegte Gruppe oder dergleichen — eine Wirkung verifiziert werden, die im nachhinein die Richtigkeit der Anforderungen bzw. Regeln erweist.
Zentral geht es hier um das Ego, eine fiktive Selbstvorstellung. Dieses stellt ständig Forderungen; es funktioniert wie ein Tyrann, und zugleich ist es wankelmütig und quengelig wie ein 3-jähriges Kind. Es verlangt, daß bestimmte Kleinigkeiten nur so und nicht anders sein sollen — andernfalls bekommt es die Krise und wird starr und stur. Es merkt nicht, daß das meiste nur Äußerlichkeiten sind und es für einen selbst nicht wirklich entscheidend ist, ob man dies oder das tut. Oft ist es sogar besser, man tut etwas ganz anderes, als was man normalerweise tun würde.
Beim Zahnarzt muß man zulassen, daß der Arzt bohrt, auch wenn das unangenehm ist. Aber man weiß, daß es notwendig ist. Genau so muß man zulassen, daß in einer Inneren Schule am falschen Selbstbild „gebohrt“ wird — und auch das ist nichts anderes als ein dringend notwendiger Heilvorgang. Menschen, die hauptsächlich auf ihr Ego fixiert sind und dementsprechend stolz und selbstherrlich denken und handeln, werden natürlich jeden derartigen Einfluß vehement ablehnen und als Versklavung ihrer „freien Selbstbestimmung“ bezeichnen.