Inhaltsverzeichnis
Ramana Maharshi: Gespräche des Weisen - Das "Ich"
S. 34:
Stellt man eine Wertordnung der Gedanken auf, dann ist der überwiegend wichtigste Gedanke „ich“. Er umfaßt die Vorstellung von der Person und ist die Wurzel aller anderen Gedanken. Jeder Gedanke, jede Vorstellung erhebt sich in einer Person, und kein Gedanke kann unabhängig vom „ich“ existieren. Es ist also das „ich“, das denkt.
Die Entstehung des "Ich"-Gedankens
S. 505:
Wenn man vom Schlaf- zum Wachzustand übergeht, erhebt sich der „ich“-Gedanke; der Geist beginnt seine Wirksamkeit; Gedanken tauchen auf; die Organe des Körpers fangen an tätig zu werden.
S.516
Fr: Wie vernichtet man das „ich“?
M: Finden Sie es erst einmal, und fragen Sie dann, wie man es vernichten kann. Wer fragt dies? Es ist das „ich“. Wird es jemals bereit sein, sich selbst zu vernichten? Ihre Frage führt zu einer weiteren Stärkung des „ich“. Wenn Sie aber nach ihm suchen, werden Sie finden, daß es nicht existiert; das ist der Weg, es zu vernichten.
S.166
M: Wie meditieren Sie?
F: Ich beginne mit der Frage „Wer bin ich?“, schalte den Körper, den Atem und schließlich den Geist als Nicht-„ich“ aus - und dann weiß ich nicht weiter.
M: Schön, aber der ganze Vorgang ist bisher nur intellektuell. Alle Schriften verweisen tatsächlich auf ihn, um den Sucher zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen. Da diese nicht direkt „gezeigt“ werden kann, ist der intellektuelle Vorgang zunächst nicht zu umgehen. Aber sehen Sie selbst: Der, der alles Nicht-„ich“ ausschließt, kann nicht das „ich“ ausschließen. Um festzustellen: „Dies bin ich nicht“ oder „Ich bin das“, muß ein „ich“ da sein. Dieses „ich“ ist nur das ego, der „ich“-Gedanke; erst nachdem dieser „ich“-Gedanke aufgestiegen ist, steigen alle anderen Gedanken auf. Er ist somit der Wurzelgedanke. Wird die Wurzel herausgerissen, dann sind damit alle anderen Gedanken gleichzeitig beseitigt. Suchen Sie daher die Wurzel, das „ich“. Fragen Sie sich: „Wer bin ich?“ und finden Sie dessen Ursprung, dann werden alle Gedanken verschwinden und das reine Selbst bleibt übrig.
F: Wie macht man das?
M: Das Ich ist immer da - im tiefen Schlaf, im Traum und im Wachen. Der, der im Schlaf da ist, ist derselbe, der jetzt spricht. Das Ich-Empfinden ist immer da, oder wollen Sie etwa Ihr Dasein ableugnen? Nein; Sie sagen „Ich bin“. Finden Sie heraus, wer ist.
F: Ich verstehe es auch so nicht. Ihr sagt, dieses „ich“ sei das falsche. Wie kann man es ausmerzen?M: Sie brauchen das falsche „ich“ nicht auszumerzen. Wie könnte das „ich“ sich selbst beseitigen? Das einzige, was Sie tun müssen, ist, seinen Ursprung zu finden und dort zu verharren; darüber hinaus können Sie gar nicht gehen. Das, was darüber hinausgeht, wird für sich selbst sorgen. In diesem Punkt sind wir hilflos: Kein eigenes Bemühen kann Es erreichen.
F: Wenn Ich immer bin, hier und jetzt - weshalb kann „ich“ es nicht empfinden?
M: Das ist es eben. Wer sagt, daß er es nicht empfindet? Sagt es das wahre oder das falsche „ich“? Untersuchen Sie das; Sie werden finden, daß es das falsche „ich“ ist. Dieses falsche „ich“ ist das eigentliche Hindernis, das beseitigt werden muß, weil es das wahre Ich verbirgt. Das Empfinden, daß „ich“ nicht verwirklicht habe, verhindert die Verwirklichung. Tatsächlich sind Sie bereits verwirklicht; es gibt nichts Weiteres, das verwirklicht werden müßte; andernfalls würde die Verwirklichung neu sein. Aber was geboren wird, muß auch sterben. Wäre die Verwirklichung nicht ewig, sie wäre nicht wert, erlebt zu werden. Daher ist das, was wir suchen, nicht etwas, was erst neu zu geschehen hätte, sondern lediglich das, was von Ewigkeit her besteht und nur noch nicht erkannt wurde, weil etwas da ist, was das verhindert. Wir brauchen nur die Behinderung - das Nichtwissen - zu beseitigen. Überwinden Sie dieses Nichtwissen, und es ist alles gut. Das Nichtwissen aber ist identisch mit dem „ich“-Gedanken; finden Sie diese Quelle, und er wird verschwinden. Der „ich“-Gedanke gleicht einem Phantom, das zwar nicht greifbar ist, aber gleichzeitig mit dem Körper auftaucht, sich mit ihm entwickelt und wieder mit ihm verschwindet. Das Körper-Bewußtsein ist das falsche „ich“; geben Sie es auf, indem Sie seine Quelle aufspüren. Der Körper selbst sagt nicht: „Ich bin“; Sie sagen: „Ich bin dieser Körper“. Suchen Sie herauszubekommen, wer dieses „ich“ ist; bei der Suche nach seiner Quelle wird es verschwinden.
F: Und das wird die Seligkeit sein?
M: Seligkeit und Seins-Bewußtsein sind eins; alles, was über das ewige Sein ausgesagt wird, bezieht sich ebenso auf die Seligkeit. Sie ist Ihr wahres Wesen, das jetzt unter dem Nichtwissen verborgen ist. Beseitigen Sie das Nichtwissen, und die Seligkeit wird sich offenbaren.
F: Müssen wir nicht die letzte Wirklichkeit von Welt, Seele und Gott zu erkennen suchen?
M: Das sind alles nur Vorstellungen, die das „ich“ erfindet; sie steigen erst nach dem „ich“-Gedanken auf. Haben Sie von ihnen im tiefen Schlaf etwas gewußt? Wenn die Vorstellungen wirklich wären - müßten sie nicht auch im tiefen Schlaf da sein? Sie hängen ausschließlich vom „ich“-Gedanken ab - oder sagt etwa die Welt zu Ihnen: „Ich bin die Welt“? Sagt der Körper: „Ich bin der Körper“? Sie sind es, der sagt: „Dies ist die Welt“, „dies ist der Körper“ usw. Es sind also nur Ihre Vorstellungen. Ergründen Sie, wer Sie sind. Damit kommen Sie an das Ende aller Zweifel.
S. 234:
F: Ist nicht in den Schriften die Rede davon, daß man sich der Hüllen (nach der Vedenta-Lehre liegt das Selbst unter fünf übereinanderliegenden Schichten, koshas, verborgen), die das Wahre verschleiern, entledigen solle?
M: Nach dem Aufsteigen des „ich“-Gedankens entsteht die irrige Identifizierung des „ich“ mit dem Körper, den Sinnen und dem Geist. Das „ich“ wird also irrtümlich mit ihnen gleichgesetzt, und das wahre Ich gerät außer Sicht. In diesem Zusammenhang wird vom Abwerfen der Hüllen gesprochen. Damit ist aber nicht das Loswerden des Nicht-Selbst gemeint, sondern das Auffinden des wirklichen Selbst. Das wirkliche Selbst ist das vollkommene, unendliche Ich-Ich. Es ist ewig - ohne Ursprung und Ende. Das andere „ich“ wird geboren und stirbt - es ist vergänglich. Beobachten Sie, wem die ständig wechselnden Gedanken kommen! Sie werden entdecken, daß sie nach dem „ich“-Gedanken aufsteigen. Bleiben Sie bei diesem Wurzelgedanken, ohne die anderen zu beachten, dann werden diese schließlich verschwinden. Verfolgen Sie den „ich“-Gedanken zurück bis zu seiner Quelle - und das Selbst wird sich offenbaren.
F: Es ist schwierig, dem zu folgen. Ich verstehe es theoretisch. Doch die praktische Anwendung bleibt mir schleierhaft.
M: Die anderen Methoden sind für die, die den Weg der Erforschung nicht gehen können. - Sogar um „Ich bin Brahman“ zu wiederholen oder auch nur daran zu denken, muß ein Ausführender da sein. Wer ist das? Es ist das Ich. Seien Sie dieses Ich. Das ist die direkte Methode des Forschens nach dem Selbst.