Ein Esel und ein Löwe treffen sich, und der Esel behauptet stets, der Himmel sei rot. Der Löwe widerspricht permanent und geht schließlich zum König der Tiere, um ihm von der Lüge des Esels zu berichten. Der König aber gibt dem Löwen eine Ohrfeige, und der Löwe fragt ganz verwundert, warum. Der König antwortet: „Weil Du so töricht warst und Deine Lebenszeit für so einen Lügner vergeudet hast!“
Ein Wesir war abgesetzt worden und in den Kreis der Derwische eingetreten. Der Segen ihrer Gesellschaft wirkte auf ihn so wohltuend, daß ihm endlich die ersehnte Ruhe des Geistes zuteil ward. Als ihn der König aufs neue in Gnaden annahm und ihm ein Amt übertragen wollte, nahm er es nicht an, sondern sprach: „Vom Amte verjagt ist besser als von der Welt geplagt.“Saadi: Rosengarten, S. 47
Ein Haufen Taugenichtse, der gegen die Derwische gesinnt war und auf sie fortwährend schimpfte, kam des Weges daher. Man führte unziemende Reden und schlug einen Derwisch nieder. Dieser klagte es dem Scheich des Ordens und erzählte, was ihm zugestoßen war.
„O mein Sohn“, erwiderte dieser, „das Gewand der Derwische ist das Kleid der Zufriedenheit. Wer in diesem Gewand das Unerwünschte nicht zu tragen weiß, ist ein Heuchler und des Wollgewandes nicht würdig. Saadi: Rosengarten, S. 116
Ein einsichtsvoller Derwisch sah einen Mann von ungewöhnlicher Körperstärke, der so ergrimmt und zornig war, daß ihm der Schaum aus dem Mund floß.
„Was ist diesem Mann geschehen?“ fragte er. Jemand antwortete:
„Es hat einer zu ihm ein Schimpfwort gesagt!“ — „Wie kann dieser erbärmliche Mensch“, sagte darauf der Derwisch, „einen Stein von tausend Pfund aufheben und wegtragen, wenn ihn die Last eines Wortes schon umwirft?“ Saadi: Rosengarten, S. 118
Der Arzt Galen sah einst, wie ein roher Mensch einen Gelehrten am Kragen gefaßt hatte und ihn mißhandelte. Er sprach: „Wenn dieser klug wäre, so hätte er es mit diesem Toren gar nicht erst so weit kommen lassen!“ Saadi: Rosengarten, S. 167
— GLR 13.10.2025-18:44