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Vincent van Gogh

© Marco Holmer | 5.6.2008

Niederländischer Maler, (1853-1890)

Selbstportrait (1887)

"Was kann ich wirklich gut?"

Die Briefe von Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo geben Aufschluß über van Goghs beeindruckende Beharrlichkeit und Entschlossenheit, sich seinem inneren Antrieb ganz zu widmen und etwas selbst zu schaffen. Er war ein Werktätiger, der seine Wahrhaftigkeit in seinem Tun ausdrückte.

Suche nach dem, was jemand selbst zu tun hat

Nach seiner Schulzeit begann er an inneren Kämpfen zu leiden, die durch einen selten starken Drang zur Selbstverwirklichung ausgelöst wurden. Lange suchte er etwas, wo er nützlich sein und etwas tun konnte, das ihm entsprach. Als er nach verschiedenen Arbeiten und Studien die Malerei für sich entdeckte, war er schon 27 Jahre alt. Endlich hatte er eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden und konnte seiner unglaublichen Schaffenskraft freien Lauf lassen. Er wurde völlig davon vereinnahmt und konnte nichts mehr anderes tun, nur noch seiner eigenen Arbeit und dem Ringen in seiner Brust nachgehen. Gleichzeitig zehrte ihn seine unermüdliche, harte Arbeit bis zur Erschöpfung aus. Aber der Schaffenswille und die Liebe zum Malen waren ungleich viel größer als seine Bequemlichkeit. Er mußte etwas schaffen und seinem Leben einen Sinn geben — andernfalls hätte er lieber sterben wollen.

Wichtig zu unterscheiden ist, daß das bei ihm nichts mit abgehobener Vergeistigung oder einer romantischen Spinnerei zu tun hatte, sondern mit handfestem Leiden und harten Lebenserfahrungen. Er war durch und durch ein Praktiker, der seine Lebensfragen und seine Situation malend bewältigte - Leben und Ausdruck, Erleben und Malerei waren bei ihm gar nicht zu trennen. Seine Arbeit war für ihn eine Art Medium, ein Mittel und auf keinen Fall Selbstzweck, anhand dessen er sich weiterarbeitete und herausdestillierte, was ihn selbst ausmachte und für was er lebte. Er ist ein leuchtendes Beispiel für jemand, der sich selbst fragte "Was kann ich wirklich gut?", und sich dem dann konsequent widmete.

Der eigene Weg trifft auf Widerstände

Sein kurzes Leben lang kamen ihm von überall Widerstände entgegen, weil er sich und seine leidenschaftliche Art nicht verleugnen konnte. Er fühlte tief eine feste Verbindung mit der Wahrheit, nämlich mit seinem ureigenen Gefühl von Wahrhaftigkeit und Gewissen. Dadurch war ihm Selbstverleugnung ab einem Punkt nicht mehr möglich. Gut nachvollziehbar ist sogar, wie sich dieser Punkt langsam herausbildete, dann aber sehr schnell völlig herausschälte. Immer wieder wurde er ausgestoßen: von seiner Familie, von der Schule, der Kunstakademie, seinem kurzzeitigen Malereilehrer, von der Kirche (er hatte eine Predigerausbildung, zog sich aber nach seinem Rauswurf wieder von der Theologie und aller Theorie zurück, weil dort, wie er sagte, die schlimmsten Phärisäer gezüchtet würden), von der Gesellschaft insgesamt (z.B. von der Dorfbevölkerung von Arles nach dem Eklat mit Paul Gauguin). Überall wurde er als untragbarer Sonderling gemieden, der sich mit allen überwarf. Doch in seinen Briefen an seinen geliebten Bruder beschreibt er herzerweichend, wie sehr er darunter litt, den ersehnten Kontakt nicht zu bekommen - er konnte nicht anders als er selbst sein, aber erntete deswegen nur Ablehnung. Die restliche Gesellschaft von Alltagsmenschen, die das nicht kennen, sich eigenen Antrieben und Gefühlen verpflichtet zu fühlen statt fremden Vorgaben nachzufolgen, werteten ihn als Tagedieb und Taugenichts ab.

Neue Wahrnehmung des Menschen Van Gogh

Vincent van Goghs Briefe enthalten sehr eindringliche, tiefgreifende und berührende Abschnitte, die ich durch ihre direkte Kraft sehr inspirierend finde. Seine Ansichten wirken für mich an vielen Stellen sogar stärker als die eigentlichen Kunstwerke, weil sie in gewisser Weise einen unverstellteren Zugang zu den tieferen Antrieben, Gedanken, Widersprüchen und Eigenheiten dieses Mannes zeigen. Sie zeigen ihn mir näher und authentischer als die allgemeine bewundernde Betrachtung, mit der er im Kulturbetrieb umgeben wird.

In dem kleinen Buch “Feuer der Seele”1 ist eine gute Auswahl von Abschnitten seiner weit über 600 erhaltenen Briefen an seinen Bruder zusammengestellt. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe.

In der Arbeit nämlich begegnet man sich, und das ist der beste Weg. [S. 153]

Was ist schlimmer: die Gefahr oder die Angst vor der Gefahr?
Dann lieber die Wirklichkeit, die Gefahr selbst… [S. 24]

Ich glaube, man denkt viel gesünder, wenn die Gedanken dem direkten Kontakt mit den Dingen entspringen, als wenn man die Dinge mit der Absicht betrachtet, dieses oder jenes darin zu finden. […] Und doch ist das Gefühl etwas Großes, ohne es würde man nichts zustande bringen. [S. 127]

Fast niemand weiß, daß das Geheimnis schöner Arbeit zum größten Teil in Treue und aufrichtigem Gefühl liegt. [S. 134]

Links

1 'Vincent van Gogh - Feuer der Seele', Gedanken zum Leben, zur Liebe und zur Kunst. Ausgewählt von Ursula Michels-Wenz. Erschienen 1990 im Insel Verlag.

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