Inhaltsverzeichnis
Selbsterkenntnis und das Leben in der Welt
Lebensführung, In-der-Welt-Sein, Gesellschaft und Politik
Das konventionelle Wirklichkeitsbild bringt Sinn- und Wahrheitssuche zum Verschwinden
In welcher Beziehung steht Selbsterkenntnis zum normalen, alltäglichen Leben in der Welt, also inmitten dieser Gesellschaft und unter den jeweils aktuellen politischen und kulturellen Gegebenheiten? Oder anders gefragt: Wie läßt sich Selbsterkenntnis realisieren oder praktizieren, wenn man außerdem noch mit seinen alltäglichen Problemen und Aufgabenstellungen zu tun hat, etwa im Gefühls- und Beziehungsleben, oder beruflich, oder in der Freizeit?
Derartige Fragen laufen bereits in die falsche Richtung, weil ein Gegensatz zwischen normalem Leben und einer Art „Innerlichkeit“, also etwas rein Privatem hergestellt wird. So wie es ja auch mit der heutigen oberflächlichen Auffassung von Religion (oder Esoterik, oder "Spiritualität") geschieht. Es werden dabei von vornherein zwei unterschiedliche Bereiche definiert. Diese Sichtweise ist aber vollkommen unsinnig, weil sie, ohne sich darüber im klaren zu sein, bereits die objektivistische Perspektive imitiert, nach der jeder von uns ein kleines Rädchen nicht nur im gesellschaftlichen und politischen Getriebe, sondern auch im kosmischen und universellen Getriebe eines mechanistischen Wirklichkeitskonzeptes sei. Der eigentliche Sinn wird dabei nach außen verlagert und verschwindet so ganz. Übrig bleibt nur noch ein eingetrichterter „Glaube“, irgendeine Ideologie als „Weltanschauung“, während konkrete Selbsterkenntnis und Wahrheitserfahrung auf der Strecke bleibt.
Die Sackgasse des Psychologisierens und der "spirituellen Selbstverwirklichung"
Der Mensch auf der Suche nach „sich selbst“ gerät zumeist, wenn er sich vom Bann der gleichgeschalteten Weltanschauung, die ihn zu einem bedeutungslosen Etwas degradiert, zu lösen versucht, an Angebote der Psychologie, Psychotherapie, Selbsterfahrung, Selbstverwirklichung usw., die den Anspruch erheben, zu echten Wahrheiten und somit auch zur effektiven Selbsterkenntnis zu führen. Im selben Moment bekommt es dieser Mensch mit seinen Konditionierungen und Prägungen zu tun. Die Hypothese lautet hier, daß die Aufarbeitung dieser Einflüsse notwendig sei, um „frei“ zu werden und „zu sich selbst zu finden“. Nun hat ebendieser Suchende einen Berg von Altlasten aufzuarbeiten.
Es gibt hierbei zwei Aspekte zu beachten:
- Im Prozeß echter Selbsterkenntnis geschieht auch Konfrontation mit sämtlichen Prägungen und Konditionierungen. Diese sind aber nicht Ziel und Hauptaugenmerk, sondern nur Begleiterscheinung und im wesentlichen sogar unerheblich. Denn sie berühren nicht, was wir in Wahrheit sind.
- Nicht direkt, primär und zentral auf Selbsterkenntnis hin orientierte Angebote und Lehren – und dabei handelt es sich um das weitaus größte Spektrum dessen, was einem im normalen Leben unterkommt – führen zu einer Verzettelung und in der Regel sogar zu einem Abirren.
Die Rolle des Egos (bzw. der falschen Persönlichkeit)
Nur ein tieferes Verständnis der Rolle des Egos (bzw. der falschen Persönlichkeit) hilft uns, den Irrweg zu vermeiden. Das Ego ist nämlich gleich stark bei Menschen mit starker Belastung durch etwa ungünstige Kindheitsprägungen (Traumata) wie bei in dieser Hinsicht weit weniger Vorbelasteten. Entscheidend ist nämlich die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, nicht die Prägung und nicht die Vorbelastung. Selbsterkenntnis ist kein psychologischer oder therapeutischer Weg. Selbsterkenntnis läßt sich nicht in Distanzen messen – etwa, wie nah oder weit wir von uns selbst entfernt wären oder wie wenig oder wie viel wir uns „entwickelt“ hätten, geschweige denn, wie viel wir „gelernt“ oder „erfahren“ hätten.
Gesellschaftsorientierung und innere Qualität
Und noch ein wichtiger Aspekt: Die jeweilige Situation der Gesellschaft hat damit auch überhaupt nichts zu tun. Auch das ist, wie das Thema der psychologischen oder therapeutischen „Befreiung“ oder Entblockierung, eine ganz geläufige und immer wieder vorkommende Sackgasse. Der Gesellschaft oder überhaupt irgendwelchen anderen helfen zu wollen ist ebenfalls nur eine Ausflucht, um sich nicht mit der eigenen Wahrheit zu konfrontieren.
Die Selbsterkenntnis (bzw. zuerst: Wahrheitssuche und Selbsterforschung) ist stets die Hauptachse und der Ausgangspunkt. Eben hier trennt sich alles von den gängigen Aufklärungs- und gesellschaftlich-politischen Befreiungsversuchen.
Wenn die innere Qualität gegeben ist, ist auch der Kernaspekt jeglicher kulturellen, gesellschaftlichen oder politischen Befassung beantwortet. Wer diesen Punkt verliert, hat schon alles verloren.