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Konzeptbildung
Der Mechanismus der Konzeptbildung
Konzeptbildung geht vom verselbständigten Verstand aus, der als künstlicher mentaler Überbau die Kontrolle über das natürliche Sein des Menschen übernommen hat und den Menschen in eine Welt der Vorstellungen und Gedankenträume entführt. Konzepte sind aus Erlebtem oder Gehörtem gebildete geistige Muster, die an die Stelle der tatsächlichen Wirklichkeit treten. Sie basieren auf Sprachbegriffen und auf logischen und sprachlichen Mustern, die sich je nach kultureller Prägung und je nach vorherrschendem Welt- und Selbstbild im Verstand herausbilden und zueinander Bezüge bilden. Diese Konstrukte sind immer entweder auf Vergangenheit oder Zukunft bezogen und geben vor, real zu sein, während sie jedoch in Wahrheit bloß aus Projektionen und Mutmaßungen bestehen.
Intellektuelle Menschen sind besonders prädestiniert, auf diese Art halluzinatorischen Denkens hereinzufallen.
Man kann Konzepte auch verstehen als Versuch, Kontrolle über sich und die Umwelt auszuüben. Dem zugrunde liegt die Annahme, Konzepte gingen Handlungen und Verhaltensweisen voraus und Schlußfolgerungen könnten nach eigenem Willen gegenüber der Welt (sowie ggf. auch gegenüber der eigenen Innenwelt) durchgesetzt werden. Wer so denkt, sieht im Konzept den Ursprung seines Verhaltens. Tatsache ist jedoch, und nähere Selbstbeobachtung zeigt dies auch unmißverständlich und klar, daß Konzepte wie auch ganz allgemein Gedanken immer nur Reaktionen darstellen. Weder das Denken noch irgendwelche geistigen Projektionen setzen Ursachen, sondern allein die Lebenskraft selbst, die wiederum eine unpersönliche Ausdrucksform der Ganzheit ist und deren jeweilige Erscheinungsform manifestiert.
Wenn verstanden und auch bei sich selbst ganz praktisch beobachtet wird, daß Konzepte keine echte Wirkung ausüben (dies gilt auch für alles, was mit Ideen zu tun hat), kann die Energie, die in mentale Projektionen investiert wurde, wieder zu ihrer Quelle, nämlich zum wirklichen Sein des Menschen zurückkehren. Sie drückt sich dann spontan, unvorhersehbar, völlig frei (und daher auch angstfrei) und lustvoll aus; sie ist dann authentischer Ausdruck der Ganzheit und trägt daher auch immer harmonisch, heilend und fruchtbar zur Einheit allen Seins bei. Nur diese Ausdrucksform ist ungespalten, konfliktfrei und liebevoll, während aus geistiger Projektion resultierende Konzepte den Keim von Ablehnung, Grausamkeit und Zwiespalt in sich tragen. Dies gilt unabhängig von jeglichem Anspruch, und sei er noch so wohlmeinend oder reformerisch gemeint.
Die Identifikation mit Konzepten
Die Selbstidentifikation mit dem Körper
Die Vorstellung eines „Geistes“ entstammt direkt der Selbstidentifikation mit dem Körper. Und zwar gehören zum Körper in erster Linie die Körperwahrnehmungen sowie daraus folgend die Körper-Reaktionsweisen. Halten wir uns an das, was wir unmittelbar erfahren, nämlich die Körperwahrnehmungen: Aus diesen wird das Vorhandensein einer den Körper umgebenden „Außenwelt“ geschlußfolgert.
Ein Beispiel
Als einfaches Beispiel möge die Wahrnehmung von Hitze gelten. Wenn der Körper Hitze spürt, handelt es sich zuerst einmal nicht um einen dualistischen Vorgang, sondern da ist nur Hitze und die Wahrnehmung von Hitze. Hitze hat kein Innen und Außen, sondern in der Erfahrung von Hitze gibt es nur dieses Gewahrwerden von Hitze als solcher. Das Wiederholen solcher Erfahrungen bringt den Faktor Zeit (und Raum) ins Spiel. Das Gehirn hat die Erfahrung(en) von Hitze gespeichert und mit ihr/ihnen die jeweiligen Umstände. Hieraus ergibt sich die Funktionsweise des (im Gehirn etablierten) Verstandes, der diese Erfahrungen erinnert, vergleicht, einordnet und kategorisiert. Hieraus entsteht ein abstraktes Konzept, das mit „Hitze“ verknüpft ist bzw. das alle Umstände von Hitze zu erfassen und zu beherrschen sucht. Daraus ergeben sich wiederum konzeptgesteuerte Verhaltensweisen, d.h. der Verstand übernimmt, sobald sich dieses Konzept verfestigt hat, die Verhaltenssteuerung.
Das Beispiel zeigt deutlich, daß die Verstandestätigkeit kein eigenständiger Vorgang ist und auch nichts mit irgendeiner wohldefinierten „Identität“ als Handlungs- oder Schlußfolgerungsinstanz zu tun hat, sondern sich aus der Tatsache der Wahrnehmung ergibt, und zwar einmal in direkter Folge und dann bei weiteren Vorkommnissen in einem immer indirekteren, zunehmend abstrahierten Zusammenhang. Gleichzeitig verfestigt sich das damit zusammenhängende Konzept einer „Innen-“ und einer „Außenwelt“. Die jeweilige Beschaffenheit dieses Konzeptes ist, wie mit diesem Verständnis leicht nachzuvollziehen ist, direkte und indirekte Folge der jeweiligen Körperwahrnehmungen.
Der gängige Irrtum bei der Identifikation mit Konzepten besteht darin, daß dem Konzept ein eigenes, von der Wahrnehmung unabhängiges Wesen zugeschrieben wird, so als könne es kraft seines scheinbar „realen“ Vorhandenseins auch ohne die es bedingenden Wahrnehmungen existieren. Ganz entsprechend verhält es sich mit dem Ich-Konzept als dem allen Konzepten zugrundeliegenden und von der Wichtigkeit her übergeordneten Konzept. Das Konzept bekommt nicht nur Realitätscharakter zugewiesen, sondern auch Attribute von Souveränität, Kontrolle, „Entscheidungsfreiheit“ und „Individualität“. Hieraus wiederum entsteht die Vorstellung eines „Geistes“ oder einer „Seele“ als einer unabhängigen Instanz, die sozusagen dem Körper übergeordnet ist und dessen Erleben und Verhalten angeblich zu steuern oder von diesem sogar getrennt zu existieren vermag.
Die Trennung von Wahrnehmendem und Wahrnehmung
Wie schon erklärt wurde, basieren sämtliche derartigen Konzepte auf der Selbstidentifikation mit dem Körper. Der Körper wiederum ist Teil dieser Konzeptbildung, denn ihm zugrunde liegen wiederum nur die Wahrnehmungen, die ihn ausmachen. Was ist aber die eigentliche Natur all dieser Wahrnehmungen? Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Hitzewahrnehmung. Sie besteht aus zwei Komponenten, die ohne einander nicht möglich sind: Wahrnehmenden und Wahrnehmung. Die Konzeptbildung löst den ersten Bestandteil, den Wahrnehmenden, vom zweiten Bestandteil, der Wahrnehmung; sie abstrahiert den Wahrnehmenden als eine tatsächlich oder potentiell unabhängige Substanz. Dieser Abstraktionsvorgang ist aber wiederum nichts anderes als ein — nur um einiges komplexerer — Teil der Konzeptbildung als solcher; es handelt sich also bloß um das Konzept eines Konzeptes bzw. um ein Supra- oder Meta-Konzept. Ist das Konzept als solches schon eine bloße Vorstellung, so ist das Meta-Konzept genau dasselbe, nur ein Stück wirklichkeitsferner.
Wenn Wahrnehmender und Wahrnehmung sich aber gegenseitig bedingen und ohne einander gar nicht möglich sind — was bedeutet das nun? Es bedeutet, daß sie beide Teil derselben Erscheinung sind und ihrer eigentlichen Natur nach gar nicht isoliert existieren können. Erst mit der Wahrnehmung taucht der Wahrnehmende auf — und umgekehrt. Nun ist zu fragen: Um was für eine Art von Erscheinung handelt es sich? Aus der Tatsache, daß jeder immer nur das Schauspiel seines eigenen Lebens erleben kann und niemals etwas anderes — daß er also nur seine eigenen Wahrnehmungen erfahren wird und sein ganz privates Bild von „allem, was ist“, einschließlich dem, was er für „sich selbst“ hält — folgt unmittelbar: Es handelt sich um die Manifestation von Bewußtsein. Dieser Manifestation muß etwas zugrundeliegen, und zwar etwas, das mit den jeweiligen Erscheinungsformen nichts zu tun hat. Sie sind nur seine äußere Erscheinung, seine Fassade, man könnte auch sagen: der Kinofilm (des Lebens) auf der Kinoleinwand (des Lebens). Dieses Zugrundliegende ist nicht Teil von Zeit und Raum und damit unveränderbar, ewig, ja unberührbar und unsterblich. Es ist nicht qualifizierbar, weil es nicht Teil von Existenz und somit auch nicht Gegenstand von Abstraktion oder Konzeptionalisierung sein kann.
— Gerd-Lothar Reschke 19.10.2007, 17.2.2008 (einkopiert)