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Jesus Christus
Jüdischer Wanderprediger, spiritueller Lehrer
* wahrscheinlich vor 4 v. Chr., † 30 oder 31
Die Person; die Problematik der genaueren Verifikation
Die Bezeichnung von Jesus von Nazareth als „Christus“ läßt sich wohl vergleichen mit der Benennung Siddhartha Gautamas als „Buddha“ — d.h. der zweite Namensteil verweist auf die besondere spirituelle Rolle, Funktion oder auch Qualifikation (in einem jeweils genauer zu erklärenden Sinn).
Aussagen über Leben und Person des Jesus Christus stoßen allesamt auf das Problem der Nachprüfbarkeit bzw. Faktizität; gerade auch durch die besondere Fülle an Interpretationen, Beimessungen und Deutungen seitens der christlichen Kirche im Verlauf von mehr als zwei Jahrtausenden vermischen sich die widersprüchlichsten Überlieferungen, Legenden und Zuschreibungen mit verläßlichen Aussagen.
Die Lehre
Wir halten uns deshalb im folgenden an Texte der Bibel, sind uns aber bewußt, daß auch bei diesem „Heiligen Buch“ der Christen bedeutende Teile umgeschrieben, verboten und per se widersprüchlich (aufgrund verschiedener, auch nachträglicher Verfasser) dargestellt wurden. Was uns hier interessieren sollte, ist deshalb in erster Linie der Gehalt an religiösen Kernaussagen und ihren Bedeutungen. Also das, was als Botschaft und Mitteilung vorgefunden werden kann, ohne daß dies nun weiter auf „Faktizität“ oder gar Texttreue überprüft werden müßte.
Überlieferte Kernaussagen betreffen:
- Doppelrolle des Jesus als Menschen- und Gottessohn
- Himmelreich als Bezugspunkt von Wahrheit und Gerechtigkeit
- Gottesvertrauen
- Nächstenliebe
- Qualifikation des aufrichtigen Suchers (Gläubigen), Umwidmung der eigenen Lebensrolle (Nachfolge Christi)
- Überwindung weltlicher Einflüsse und Abhängigkeiten
Hierzu gibt es zahlreiche sehr bildhafte und aussagekräftige Lehrparabeln (Gleichnisse), die die Lehre illustrieren.
Aussprüche
Gebt nicht das Heilige den Hunden und werft nicht eure Perlen den Schweinen vor, damit sie sie nicht mit ihren Füßen zertreten, und sie sich nicht umwenden und euch zerreißen. Jesus Christus, Mt. 7, 6
Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie zerfressen, wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie zerfressen, wo keine Diebe einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Jesus Christus, Mt. 6, 19-21
Das Licht des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge lauter ist, wird dein ganzer Leib von Licht erfüllt sein. Wenn dein Auge böse ist, wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß ist dann die Finsternis! Jesus Christus, Mt. 6, 22-23
Niemand kann zwei Herren dienen. Denn entweder wird er diesen hassen und jenen lieben, oder er wird sich an jenen halten und diesen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Jesus Christus, Mt. 6, 24
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird euch zugemessen werden.
Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber nimmst du nicht wahr? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Laß mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen, und dabei ist in deinem Auge der Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann wirst du klar genug sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. Jesus Christus, Mt. 7, 1-5
Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafspelzen zu euch kommen — darunter aber sind reißende Wölfe! An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Lassen sich etwa Trauben ernten von Dornen oder Feigen von Disteln? Jesus Christus, Mt. 7, 15-16
Vorschlag eines Neuansatzes, der in Widerspruch zum Kirchendogma steht
Da wir uns auf diesen Seiten auf den Aspekt Selbsterkenntnis und Wahrhaftigkeitserleben fokussieren und uns nicht weiter mit historisch gewachsenen ideologischen Dogmen aufhalten wollen, mag es lohnenswert sein, die direkten, uns bekannten Aussprüche und Parabeln auch im entsprechenden Sinn aufzufassen und auf — vermutlich für die meisten ungewohnte Weise — neu auszuwerten. Dies geschieht auch mit der Überzeugung, daß Wahrheit immer dieselbe ist, aber in unterschiedlichen historischen und kulturellen Umständen jeweils unterschiedliche Formen annimmt. Worte sind Mitteilungsinstrumente — es kommt bei ihrer Verwendung und Deutung jeweils darauf an, worauf sie verweisen und wozu sie benutzt werden.
Das bedeutet wiederum, daß wir uns die Annahme erlauben, daß historische Figuren jeglicher Zeitepoche und Kulturtradition (handele es sich nun um Jesus, Buddha oder andere Religionsstifter), dieselben grundlegenden Wahrheiten entdeckten und in ihrer jeweiligen Terminologie vermittelten. Diese Wahrheiten sind keine Weltanschauungen, sondern beruhen auf eigener direkter Erfahrung, also auf echtem Wissen. Wer sich in die Nachfolge dieser Lehrer oder spirituellen Vorbilder begeben will, kommt nicht umhin, diese Erfahrung selbst zu suchen und anzustreben — um damit das angedeutete Wissen selbst zu verifizieren. Daß es kein Ersatz sein kann, etwas nur zu glauben, weil es irgendwo gesagt wurde oder geschrieben steht, sollte unmittelbar einleuchten.
Doppelrolle des Jesus als Menschen- und Gottessohn
Was immer wieder zu Mißverständnissen und dogmatischen Tiraden Anlaß gibt, ist der Gottesbegriff und die Gottessohn-Rolle des Jesus Christus. Dieser Jesus wird dem Kirchen-Dogma entsprechend als Übermensch und als ein von Geburt an Auserwählter verstanden und entzieht sich damit jedem weiteren Verständnis.
Nehmen wir hingegen seine eigenen Worte (im oben genannten Sinn) als Anhaltspunkt, so lassen sich die Begriffe „Gott“, „Himmelreich Gottes“ und das Selbstverständnis als „Sohn“ auch leicht im nicht-dualistischen Sinn begreifen: Der „Sohn Gottes“ ist dann nichts anderes als einer, der sich Kraft innerer Erkenntnis der eigenen unteilbaren Identität mit dem Ganzen, also der Einheit allen Seins, gewahr und bewußt geworden ist. Wir sind damit bei demselben Verständnis, wie es sich im östlich-spirituellen Begriff der Erleuchtung ausdrückt.
Mit anderen Worten: „Menschensohn“ ist jeder als leibliches Individuum, indem er — von Vater und Mutter biologisch gezeugt — mit einem Körper per Geburt auf diese Welt gelangt und dieses via Kindheit, Jugend, Alter und Sterben räumlich-zeitlich durchmißt. Dies ist die phänomenale Manifestation, oder auch: die materielle Existenz.
Jeglicher „Menschensohn“ irrt, begeht Fehler, ist beschränkt, leidet und hat Konflikte mit seinen Mitmenschen durchzustehen. Daher auch die Bedeutung des Sterbens am Kreuz (mit vorangehendem Verrat, mit Hohn, Spott und Ausgestoßenwerden als Verbrecher): hierbei wird Jesus in jeglicher Beziehung mit der eigenen Leiblichkeit konfrontiert, bis hin zum profunden Zweifel am Gottvater aufgrund des schier unerträglichen körperlichen Schmerzes.
Rückkehr zum Ursprung (Gottvater)
„Gottessohn“ ist der zweite, komplementäre Aspekt: die Nichtzeitlichkeit und Nichträumlichkeit des reinen Gewahrseins, das sich als individuelles Bewußtsein manifestiert, das weder geboren wird noch stirbt, sondern das als reiner Beobachter sämtliche phänomenalen (weltlichen) Ereignisse und Eindrücke mitverfolgt. Es kann von diesen aber weder berührt noch verändert werden.
Der „Sündenfall“ geschieht nun aber beim Durchschnittsmenschen durch das Vergessen der Gottessohn-Natur infolge des Identifikationsmechanismus', bei dem der Beobachter (reines Bewußtsein) am Beobachteten (der Wahrnehmung, wie sie der Körper mit sich bringt) zu haften beginnt und mit diesem Erleben sich im Verlaufe des Daseins, sowohl durch erlebtes Glück als auch durch erlebtes Leiden, immer mehr verstrickt (siehe auch: Identifizierung)
Die „Himmelfahrt“ besteht in der endgültigen Befreiung von diesem Zyklus der Verstrickung in Freude und Leid; sie bedeutet nichts anderes als die Wiedervereinigung mit dem reinen Bewußtsein bzw. dem raumlos/zeitlosen Gewahrsein. Damit verschwindet das persönliche Individuum und vereinigt sich mit seinem Ursprung, dem Ganzen.
Das Prototypische des religiösen Vorbildes
Die eigentliche Bedeutung des Daseins jedes Individuums besteht darin, zu dieser Einheit wieder „nach Hause“ zu kommen, also die irrtümliche Selbstidentifikation mit Körper und Geist wieder aufzugeben und mit dem Urgrund des Seins wieder zu verschmelzen. Figuren wie Jesus, Buddha und etliche andere fungieren hier als Prototypen (exemplarische Vorbilder) für den verstrickten, selbstvergessenen Einzelnen, der sich mit zunehmender Angst vor dem Tod immer stärker an materiellen Werten festklammert und dadurch gleichzeitig in einen stetig zunehmenden Bedeutungskonflikt gerät: denn er weiß in seinem Innersten, daß er am Sterben letztendlich nicht wird vorbeikommen können.
— GLR, 13.6.2010
— Gerd-Lothar Reschke 01.05.2019 15:54 (aus NR-Wiki)