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Hagakure und der Film "Ghost Dog"

Anmerkungen zu einem neuen Verständnis des Hagakure

Zum besseren Verständnis ist eine Bedeutungsübertragung nötig

Daß ich neulich durch Zufall auf den Film "Ghost Dog — Der Weg des Samurai" (bezahlter Amazon-Link) gestoßen bin, empfand ich als Glücksfall. Denn er führte mich zu einigen wesentlichen Aufschlüssen, die in dem Buch „Hagakure“ enthalten sind, welches dem Film im wesentlichen zugrundeliegt.

Mir scheint, daß es zwei Möglichkeiten gibt, mit dem Film bzw. dem Buch umzugehen. Die erste ist, diesen Kodex der Samurai als etwas Außenstehendes zu betrachten, das auf eine Weise faszinierend, zum Teil auch inspirierend ist. Die zweite ist, die Welt der Samurai völlig außer acht zu lassen und zum Kern der dort präsentierten Aussagen und Einsichten zu gelangen, zu einem Kern, der nichts mit irgendeiner früheren japanischen Kultur und Epoche zu tun hat, sondern der jeden Menschen ganz direkt betrifft.

Dazu ist es aber nötig, sich von feststehenden Begriffen und Vorstellungen zu lösen, wie hier etwa dem Fürsten bzw. seinem Gefolgsmann. Oder von irgendeiner vorgeformten Ansicht, was Scham oder Ehre sei. Auf dieser Ebene nämlich betrachtet man diese ganze Welt von Werten und Verhaltensweisen bloß wie in einem Schaukasten. Sie mag einem dann interessant vorkommen, momenthaft auch vielleicht verlockend und vielversprechend, mitunter auch befremdlich oder abstoßend.

Der Kern des Hagakure, und warum er weiter aktuell ist

Der Kern des „Hagakure“ jedoch ist, wie ich zu meiner Verblüffung feststellen konnte, völlig unabhängig von Kultur oder Epoche. Es geht auch nicht um „westliches“ oder „östliches“ Denken — übrigens eine beliebte Form der Einordnung, die den Anschein erweckt, die Fragen des Lebens seien an irgendeiner geographischen Örtlichkeit anders als an einer anderen.

Der Kern betrifft jeden allein, und zwar betrifft er das Selbst eines jeden. Auf einmal schaut man dann auf das Hagakure von innen statt von außen. Und dann geht es nicht um Ehre oder Scham, sondern um faktische Wahrheit, und es geht nicht um Fürst oder Gefolgsmann, sondern um das wahre Selbst und den psychisch-physischen, also körperlich-seelischen Apparat.

Der Fürst tritt im Hagakure scheinbar als äußere Instanz auf. Der Gefolgsmann unterwirft sich dieser Instanz, gibt sich hin, opfert sich. Nun wird gesagt, daß er dadurch erst seine Freiheit gewänne. Daß er damit den Tod überwinde.

Sprechen wir nun nicht vom Fürsten, sondern vom Selbst, und untersuchen wir, was wir mit den gemachten Aussagen anfangen können. Dazu ist es wichtig, die zentrale Aussage des Werkes in näheren Augenschein zu nehmen: Wähle den Tod, nicht das Leben.

Die Bedeutung des Todes für das Leben

Derartiges läßt sich nicht mit einem und auch nicht mit wenigen Sätzen erklären; es läßt sich eigentlich überhaupt nicht erklären. So etwas kann nur verstehen, wer es bereits lebt, wer es ist — bei wem Verstehen und Sein ineinanderfallen. Mit Weltanschauungen oder Theorien hat das nichts zu tun. Es ist eher ein Gefühl. Man könnte es „ein ganz bestimmtes Lebens- und Seinsgefühl“ nennen. Samurai werden dieses Gefühl gekannt haben, eben weil sie das gefährliche, entbehrungsreiche, unvorhersehbare Leben von Samurai lebten — unsereiner hingegen sitzt im bequemen Sessel und hat nicht einmal mehr eine blasse Ahnung von so etwas wie echter Gefahr oder totaler Unvorhersehbarkeit. Die Philosophie und Denkweise von jemand, der in seinem bequemen Sessel sitzt, wird naturgemäß eine andere sein.

Aber dennoch sind wir prinzipiell alle in derselben Lage — das wird klar, wenn wir aufhören, uns einzulullen und uns etwas vorzumachen — oder wenn auch uns die entsprechenden Dinge passieren, die uns aufwecken und aufrütteln.

Was also bedeutet das: Den Tod anstelle des Lebens zu wählen? An einer anderen Stelle des Werkes ist davon die Rede, daß es darauf ankomme, „entschlossen und ohne zu Zögern auf die andere Seite durchzubrechen“. Gemeint ist also etwas anderes als morbides Sich-Aufgeben. Gemeint ist vielmehr das Hinter-sich-Lassen des Alten: des ängstlichen Zögerns, des umständlichen Abwägens, des Sicherheitsverlangens.

Gemeint ist das Festhalten am Ich als solchem. Setzen wir dieses Gewohnheits-Ich mit dem Gefolgsmann gleich und das Selbst mit dem Fürsten, dann kommen wir der eigentlichen Fragestellung schon näher. Das Ich bzw. der Gefolgsmann, sie zählen als solche nichts, weil sie nur Hülsen sind, nur Vehikel. Es geht aber um etwas anderes, nämlich um eine zugrundeliegende Aufgabe, um einen tieferen Sinn.

Was ist wichtig?

Das Hagakure erweckt den Geist, man könnte auch sagen die Ahnung für diesen tieferen Sinn — aber dieser Sinn läßt sich nicht beim Namen nennen. Es ist etwas jenseits des Bekannten. Und doch ist es etwas nur zu Vertrautes. In gewisser Hinsicht ist stets von derselben Sache die Rede: Vom Hinter-sich-Lassen von etwas Oberflächlichem und letztlich völlig Unwichtigem.

Ich möchte einmal ein Beispiel geben. Jeder Mensch ist gewohnt, vom Leben als etwas Wichtigem zu denken. Zugleich ist er gewohnt, bestimmten Aspekten, Eigenschaften und Merkmalen des Lebens besonderen Wert beizumessen. Dies ist wie die Vorstellung, daß sich auf einem wichtigen Schiff noch wichtigere Güter befänden. Etwas ist unten, das eine Hierarchie trägt, in der sich nach oben hin immer mehr Bedeutungen und für sinnvoll gehaltene Dinge stapeln. Was würde man aber von diesem Bild halten, wenn man wüßte, daß das Schiff unaufhaltsam sinkt? Und daß zugleich alles, was sich auf ihm befindet, ebenso unaufhaltsam sinkt und mit dem Schiff verschwinden muß?

Genau so aber ist das Leben und die Existenz eines jeden. Jeder weiß das sogar — auch wenn es gerne verdrängt wird. Es ist eine Tatsache, daß alles, was in Erscheinung tritt, wieder verschwinden wird. Wenn man jung ist, kann man sich einreden, daß das vorläufig, für eine gewisse Zeit, noch keine Bedeutung hätte, aber je älter man wird, desto klarer wird, daß gar nichts an dieser Tatsache des Abschieds von allem Existierenden vorbeiführt.

Und damit verändert sich aber die Bedeutung all dessen, was existiert, grundlegend! Es kann nämlich, und das muß sich jedem, der sich einmal in Ruhe den Sachverhalt vor Augen hält, als völlig gewiß offenbaren, nichts, und zwar gar nichts von dem, was kurzfristig in Erscheinung tritt, auf Dauer aber spurlos verschwinden muß, von echter, grundsätzlicher Bedeutung sein! Es kann nur so erscheinen, aber es kann nicht so sein. Es kann nur so erscheinen aufgrund einer Selbsttäuschung, die einem suggeriert, etwas Vorläufiges sei ewig, und etwas Zerstörbares sei dauerhaft und unzerstörbar.

Je klarer das wird, desto unsinniger muß es einem aber vorkommen, sich an etwas derartig Hohles und letztlich Unwichtiges zu klammern. Gleichzeitig aber kommt ein Wissen (oder zumindest eine erste Ahnung) auf, daß es noch etwas anderes gibt, nämlich etwas, das wirklich wichtig ist und das unser Gefühl von Bedeutung legitimiert.

Genau das ist es, was hier, im Hagakure, mit dem Tod, bzw. mit den so kraß erscheinenden Aussagen über den Tod, gemeint ist. Es geht um nichts weniger als um diese andere Ebene, diese andere Realität jenseits des Sichtbaren, des vordergründig Lebendigen, des räumlich und zeitlich und materiell (oder geistig) in Erscheinung Tretenden.

Das Wesentliche

Der hingebungsvolle Dienst am Fürsten (am Selbst) ist das Tor zu diesem anderen Sein, zu dieser Zeitlosigkeit. Der Dienst ist der Vorgeschmack des Eigentlichen — und zwar bereits in diesem Leben.

Soviel zum Allgemeinen. So richtig interessant wird es aber erst mit dem Speziellen und Konkreten. Wozu einem dann im Buch und Film auch etliche Anschauungsbeispiele vermittelt werden. Das beste Anschauungsbeispiel aber ist immer das eigene Leben, die eigene Alltagspraxis. Da zeigt sich dann: Geschieht Anhaften am Gewohnten, geschieht also Angst, Gier, Feigheit, Täuschung und Selbsttäuschung — oder geschieht Loslösung davon und Sich-Öffnen zum Neuen, noch Ungeahnten, geschieht also Mut, Aufrichtigkeit, Klarheit und ein Leben mit ganzem Herzen?

Wie vollzieht sich dann hier der „Gefolgsdienst“? Er besteht darin, sich auf das Wesentliche zu besinnen und ihm Vorrang vor allem anderen einzuräumen. Das Wesentliche ist das, was bleibt, was dauerhaft ist — jenseits der äußeren Erscheinungen und Veränderungen. Nun mag dies in einem Ansturm von störenden äußeren Einflüssen und Einwirkungen zeitweilig verloren gehen. Ablenkung und Verwirrung tritt ein, Verzagtheit und Entmutigung, Zweifel an sich selbst und Zweifel am gerechten Lauf der Dinge. Sich dann wieder auf das Wesentliche zurückzubesinnen mag als „Übung“ formuliert werden, aber es ist keine Übung, sondern ein bloßes Sich-Erinnern und Wieder-Erkennen. Es kann nichts Neues angesammelt oder „gelernt“ werden. Im Sich-Besinnen verfestigt sich einfach nur das Wissen um das, was einzig echt ist.

Abtun der Ablenkung

Die Praxis des Sich-Besinnens besteht in der wiederkehrenden Auseinandersetzung mit allem, was ablenkt und was als unwichtig durchschaut werden muß. Das ist dann die sogenannte „Übung“, von der verschiedentlich die Rede ist. Ohne einen zentralen Dreh- und Angelpunkt ist diese Praxis nicht aufrechtzuerhalten. Und dieser Dreh- und Angelpunkt ist genau die dienende Hingabe, oder die Selbstaufgabe des Ich (bzw. des Gefolgsmanns).

Wird der besagte Mittelpunkt verloren, so läßt sich in der Vielfalt der äußeren Geschehnisse und Probleme keine Antwort finden. Es gibt sie dort ganz einfach nicht! Auch läßt sich leicht erkennen, daß all jene, die sich dort verfangen haben und am falschen Platz Lösungen suchen, verloren sind. Ihnen geht das Wichtigste ab.

Überzeitliches Wissen — die "Ahnen"

Für die Rückkehr zum Wesentlichen gibt es Hinweise, gibt es auch Geschichten, Anekdoten, oder Aussprüche von Menschen, die hierzu einen Erfahrungsschatz erworben haben. Dies ist es, was im Hagakure oder in ähnlichen Schriften die Tradition der „Ahnen“ oder „Alten“ genannt wird — etwas, das dem zu allen Epochen vorherrschenden vordergründigen Gelärm der belanglosen Öffentlichkeitsbeschäftigungen (Trend oder Zeitgeist genannt) gegenübersteht. Aufgabe des ernsthaften und verantwortlichen Menschen ist es, die nötige Unterscheidungsfähigkeit zu entwickeln und das überzeitliche Wissen vom zeitlichen, modischen Scheinwissen zu trennen — also einen klaren Orientierungssinn zu entwickeln, um das zu finden, was wirklich nützt, und sich von dem abzuwenden, was davon nur ablenkt.

So ist es möglich, sich an die Kraft anzuschließen, die in diesen Aussagen der Ahnen oder Alten enthalten ist. In den Aussagen jener nämlich, die uns, die wir erkannt haben, worum es in diesem Leben wirklich geht, bereits vorangegangen sind. Weil sie an genau denselben Punkten dieselben Fragen stellten, und weil sie anhand genau derselben Probleme versucht haben, tiefer zu forschen und den unsichtbaren Zusammenhängen genauer auf den Grund zu gehen.

„Neu“ erscheint dem einzelnen nur das, was sich ihm gerade als neue Aufgabenstellung zeigt, aber in Wirklichkeit ist gar nichts davon neu, sondern es tritt nur dasselbe, was andere bereits erlebten, in neuer Verpackung auf. Das Gefühl dahinter, das der einzelne, jeder einzelne, erlebt, ist aber genau dasselbe. Die Frage, was hinter diesem Leben, und hinter dem Tod steckt, ist genau dieselbe, und war stets genau dieselbe.

Von der Selbstentwürdigung zur Klarheit und Kraft

Darüber hinaus fand und finde ich am Hagakure inspirierend, wie mit der Gefahr der Selbsterniedrigung umgegangen wird. Der tiefere Hintergrund hinter dem als moralisch oder kulturabhängig interpretierbaren Wort Scham ist, der überzeitlichen Bedeutung nach, ein bestimmter innerer Mechanismus, der zu Selbstentwürdigung oder Selbsterniedrigung führt. Ich möchte diesen Mechanismus in andere Worte kleiden: Nicht zu wissen, was richtig ist.

Wer nicht weiß, was richtig ist, der verliert Kraft. Und das heißt: Er richtet seine Kraft, also die ihm von der Natur verliehene ursprüngliche Lebens- oder Vitalenergie, gegen sich selbst. Der eigentliche Kampf wird nicht draußen gewonnen oder verloren, sondern in sich selbst. Wer ihn in sich selbst verliert, wird entweder depressiv und selbstzerstörerisch, oder er projiziert ihn auf andere und trägt ihn damit nach außen.

Auch hier gilt wieder das Motto der Treue dem Fürsten (bzw. dem Selbst) gegenüber. Das heißt nicht, immer alles zu wissen oder alles wissen zu müssen — unser Zeitgeist nennt das gerne „umfassend informiert sein“. Es heißt, in sich klar zu sein. Das ist ein Wert, der nur in einem selbst gefunden werden kann — geht er dort verloren, dann ist er endgültig verloren und kann auch nicht mehr von außen zugeführt werden. Die Klarheit zieht die richtige Informiertheit an, nicht umgekehrt.

In sich klar kann nur sein, wer nicht verwirrt oder abgelenkt ist. Und in sich klar kann nur sein, wer seinen Dünkel opfert. Wer also bescheiden ist und der Verlockung nach falscher, künstlicher Größe zu widerstehen vermag. Wer still, ruhig, auch: allein sein kann. Wer die Verantwortung in sich selbst findet, statt andere verantwortlich zu machen.

Genau das aber ist nicht Selbsterniedrigung, sondern Selbsterhöhung. Und es ist dabei alles genau umgekehrt, als wie es erscheint: Dem falschen Ich erscheint es wie Selbsterniedrigung. Wo das falsche Ich aggressiv wird, um der Selbsterkenntnis auszuweichen, geht das Selbst offensiv auf die Wahrheit zu, selbst wenn sie unangenehm ist.

Aus dem Gesagten wird klar, daß es um Qualitäten des Innern geht, nicht um äußeren Glanz. Es muß aber erst ein genügendes Bewußtsein da sein, daß es solche Qualitäten überhaupt gibt, daß sie möglich sind, und daß sie nicht nur legitim sind, sondern daß sie höchste Priorität haben.

Man könnte auch sagen: Der eigene Seelenfrieden ist das höchste Gut. Das eigene Gewissen rein zu halten bedeutet, Klarheit zu finden und zu wissen, was richtig und notwendig ist. Indem äußere, künstliche Anhaltspunkte losgelassen werden, wird der innere Anhaltspunkt gefunden, der echt ist, und der überall und immer abrufbar ist.

Die Schwächen der deutschen Übersetzung

Der genannte Film „Ghost Dog — Der Weg des Samurai“ ist besser als das Buch, genauer: als die (zum Zeitpunkt der ersten Abfassung dieses Textes) im Buchhandel befindliche deutsche Übersetzung. Jedenfalls ist mir beim zweiten Ansehen des Filmes und beim Vergleichen der dort vorkommenden Textzitate mit dem Buchtext aufgefallen, daß sowohl der Film als auch die dortigen Zitate dem Geist des Hagakure wesentlich näher kommen. Ich rate daher vom Kauf der aktuell erhältlichen deutschen Ausgaben ab (Stand: 2004).

Derartige Schwächen der Übersetzung sind natürlich auch deshalb besonders ärgerlich, weil sie sich über die ursprüngliche Bedeutung schieben und aus dem Text etwas ganz anderes machen, als er ist. Die Bedeutung wird verfälscht, und das ist das Schlimmste, was man mit einem derartigen Buch tun kann.

Weshalb wird die Bedeutung verfälscht? Es ist in solchen Fällen immer dieselbe Ursache: Ein Übersetzer kann nicht mehr wiedergeben, als was seinem eigenen Verständnishorizont entspricht. Ein bloßes Wort-für-Wort-Übersetzen kann nicht den in der Originalsprache enthaltenen Sinn wiederbeleben.

Hinzu kommt dann oft noch das eigenartige Phänomen, daß Übersetzer in Fußnoten oder Anmerkungen Kritik am übersetzten Text üben — das ist mir einmal bei einer Übersetzung der Bhagavadgita begegnet, wo der Übersetzer und Kommentator haufenweise seinem inneren Widerstreben gegen die Grundaussagen des Original-Textes, vor allem gegen die dort bekundete Lebensphilosophie zum Ausdruck brachte. Ähnlich auch hier.

Was einem bleibt, ist nur, zu versuchen, der ursprünglichen Bedeutung, also dem ganzen dem Text zugrundeliegenden Geist und Verständnis selbst so nahe wie möglich auf die Spur zu kommen — und wenn nicht anders möglich, sogar die Grundaussagen in eigenen Worten neu zu formulieren.

Inzwischen habe ich mir die englische Ausgabe des Hagakure besorgt (erschienen bei Kodansha, Preis 9 $, erhältlich bei amazon (Direktlink: Hagakure: The Book of the Samurai); der Übersetzer aus dem Japanischen ist hier William Scott Wilson. Dies bestätigt genau meine Vermutung, denn es handelt sich weitgehend um eine andere Auswahl als bei dem oben erwähnten Buch (dessen Übersetzer aus dem Japanischen Takao Mukoh ist und aus dem Englischen ins Deutsche Guido Keller); es tauchen da ganz andere Texte und Inhalte auf, auch in völlig anderer Reihenfolge. Da es sich um ein relativ leicht verständliches Englisch handelt, empfehle ich jedem, der sich das Hagakure überhaupt zulegen will, nur die Kodansha-Ausgabe.

Kommentierte Abschnitte

Aus dem Englischen eigenübersetzte Partien aus dem Hagakure werden hier vorgestellt und kommentiert:

Die Frage nach der wahren Bedeutung

Obwohl man davon ausgehen sollte, daß ein Samurai sich des Weges des Samurai bewußt ist, scheint es so zu sein, daß wir alle nachlässig sind. Denn auf die Frage: „Was ist die wahre Bedeutung des Weges des Samurai?“ können nur sehr wenige ohne zu zögern antworten. Das kommt daher, weil es einem nicht klar genug ist. Daraus ist ersichtlich, wann einer sich des Weges nicht bewußt ist.

Nachlässigkeit ist eine schlechte Sache.

Dies entspricht dem Ansatz des Koan: nicht mit dem Verstand auf eine Frage (oder sonstige Situation) zu antworten, sondern mit dem ganzen Sein. Obige Frage wirkt genau so, und daher offenbart sie auch unmittelbar die Fähigkeit, mit dem ganzen Sein (und einem diesem Sein entsprechenden Verständnis) zu antworten.

Was ist dein Weg? Was tust du? Wie lebst du? — Einfache und direkte Fragen. Bist du dir vollständig darüber klar, was du tust, wie du lebst, in welchem Kontext das steht? Wenn ja, gibt es eine Antwort. Es ist ein Test.

Und es gibt immer nur eine richtige Antwort.

Noch etwas: Wenn die Sache einem klar ist, ist es sehr einfach, zu antworten. Die Antwort kommt direkt aus der Tiefe dieser Klarheit. Wenn sie einem aber nicht klar ist — wie kann man sich dann davon abwenden, ohne solange nachzuforschen und dem Thema auf den Grund zu gehen, bis das geklärt ist? Kann es dann überhaupt noch etwas Wichtigeres geben?

Nur ein Weg

Es ist schlecht, wenn aus einer Sache zwei werden. Auf dem Weg des Samurai sollte man nach nichts anderem Ausschau halten. Das gilt für alles, was sich Weg nennt. Daher ist es unbeständig, wenn man etwas vom Weg des Konfuzius oder vom Weg des Buddha hört und dann sagt, das sei auch der Weg des Samurai. Bei richtigem Verständnis kann einer von allen Wegen hören und dennoch mehr und mehr in Übereinstimmung mit seinem Weg sein.

Gemeint ist hier die scheinbare Freiheit der Wahl (insbesondere was wesentliche Orientierungen im Leben betrifft), wie sie das heutige selbstbetrügerische Modedenken vertritt. So als könnte man sich aus einer bunten Palette von Angeboten das jeweils Genehme heraussuchen. Natürlich kommt dabei nie und nimmer so etwas wie ein Weg mit Herz zustande. Der bloße Gedanke der Wahl ist schon absurd, weil er Nicht-Hingabe an das, was ist, bedeutet und damit das scheinhafte Ich anstelle der tieferliegenden Wahrheit in den Vordergrund stellt.

Je freier solche Menschen zu sein meinen, desto unfreier sind sie — sie sind nur noch Spielball ihrer persönlichen Willkür, ihrer Wünsche, Süchte und Fantasien. Sufis stellen dem die „Freiheit von der Wahl“ gegenüber: Nur wer merkt, wie er sich mit seiner angeblichen Entscheidungsfreiheit betrogen hat, erhält die Chance, wirklich frei zu sein, frei zur Wahrheit des Jetzt. Der Weg des Herzens ist immer unbedingt.

Im Textabschnitt ist auch angesprochen, daß derjenige, der in seiner Situation voll verantwortlich ist und daher tiefer geht, im selben Moment auch die Essenz anderer „Wege“, egal, in welcher Form sie auch in Erscheinung treten mögen, besser versteht. Er versteht sie nun von innen heraus, aus der Bedeutung ihres Ursprungs heraus.

Das beste ist, gar keinen Weg zu wählen. Der einzig echte Weg ist nichts Übernommenes mehr, sondern eine Rückkehr in den eigenen Ursprung. Die Idee des Wählens und Sich-Entscheidens ist dort völlig ausgelöscht.


GLR, ca. Mitte 2004, 22.2.2009
Gerd-Lothar Reschke 17.12.2018 21:27 (einkopiert)

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hagakure_und_der_film_ghost_dog.txt · Zuletzt geändert: 1.02.2024-17:34 von gerdlothar

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