Dogen: Der Verwirrung entkommen
Es geht überhaupt nicht darum, irgendeinen besonderen Zustand oder eine besondere Lebenssituation zu erreichen. Es reicht völlig, das So-Sein von einem selbst und von den Dingen als das zu belassen, was es ist, anstatt Verwirrung zu erzeugen und in die eigene Lebenslage hineinzutragen. Es ist auch völlig in Ordnung, Angst zu haben, ratlos oder verunsichert zu sein, in gewissen Situationen nicht weiter zu wissen oder Gefühle zu haben, die von anderen als schlecht oder falsch beurteilt werden. Wenn dies einfach so ist, wie es ist, und wenn man es so betrachten kann, wie es ist.
Verwirrung wird unnötigerweise durch ein Verstandesdenken erzeugt, das sich vom Welt- und Menschen-Bild des Alltags hat beeinflussen lassen und meint, an dem, was ist, herumdeuteln zu müssen. Statt nun etwas besonderes erreichen zu wollen, genügt es völlig, damit aufzuhören. Das ist die ganze „heroische Leistung“, die bei Wahrheitssuche und Selbsterkenntnis nötig ist.
WEG-Übende! Daß ihr nicht zur Erleuchtung erwacht, liegt einzig und allein an eurem Anhaften an euren alten Ansichten.
Ihr glaubt, euer gewöhnliches Wissen und euer Alltagsverständnis seien 'Geist', aber ihr wißt gar nicht, woher dieser Glaube kommt. Erzähle ich euch, 'Geist' sei Gras und Bäume, so glaubt ihr mir nicht. Spreche ich zu euch über den Buddha, so glaubt ihr, dieser Buddha müsse über bestimmte körperliche Eigenschaften und einen strahlenden Heiligenschein verfügen. Sage ich: 'Der Buddha ist Ziegelscherben und Kieselsteine', so zeigt ihr euch erstaunt. Ihr haftet an Ansichten, die euch weder von eurem Vater vermittelt noch von eurer Mutter gelehrt wurden. Ihr glaubt sie aus keinem bestimmten Grunde; sie stammen einfach daher, daß ihr immer auf das Gerede der Leute gehört habt. Da aber 'Geist ist Gras und Bäume' eindeutig Worte der Buddhas und Dharmavorfahren sind, müßt ihr verstehen, daß Gras und Bäume 'Geist' sind; und wenn man euch sagt, 'Buddha' sei Ziegel und Kiesel, so glaubt einfach, daß Ziegel und Kiesel der 'Buddha' sind. Lockert ihr also eure Verhaftung, so könnt ihr wahrhaft den WEG erreichen.
Einer der Alten sagte: 'Die Sonne strahlt und der Mond scheint, und dennoch werden sie von vorüberziehenden Wolken verdeckt. Orchideen stehen in Blüte, und dennoch welken sie im Herbstwind.' Das steht in Jogan-Seiyo, wo ein weiser König mit seinen schlechten Ministern verglichen wird. Formulieren wir es um: 'Die ziehenden Wolken verdecken Sonne und Mond, aber sie bleiben nicht lange. Im Herbstwind welken die Blumen, aber sie werden wieder blühen.'
Ist der König weise genug, wird er nicht in die falsche Richtung gezogen, selbst wenn die Minister nichts taugen. Genauso muß es mit euch auf dem Buddha-WEG sein. Bleibt man nur lange Zeit unerschütterlich, hält den Entschluß aufrecht und übt, so werden die ziehenden Wolken verschwinden und die Herbstwinde verwehen, was auch immer an schlechten Gedanken auftauchen mag.
— Gerd-Lothar Reschke 08.04.2019 22:19 (aus int. DOJO-Seiten)