Marcel Proust
GLR | 19.4.2008, 4.2.2023 (Audios ergänzt)
Französischer Schriftsteller (10. Juli 1871 - 18. November 1922)
Berühmt wurde Marcel Proust durch sein Hauptwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (À la recherche du temps perdu), einem sieben Bände umfassenden Roman. Zusammen mit James Joyce und Franz Kafka zählt er zu den großen Erneuerern der Literatur im 20. Jhdt. Aber während Joyce vor allem durch seine sprachlich-formalen Experimente bekannt wurde, steht bei Proust noch eine andere Botschaft im Hintergrund, die uns hier näher interessiert. Die absolute sprachliche Meisterschaft, mit der sich Proust artikuliert, ist nur die äußere Fassade einer hochgradig genauen Beobachtungsgabe und eines stupenden Einfühlungsvermögens. Hierdurch nähert sich dieser Autor einer tieferen Dimension des Daseins: er durchdringt jede Nuance, jeden Aspekt der erlebten Wirklichkeit, ganz gleich, ob es sich nun um scheinbar unwichtige, alltägliche Banalitäten handelt oder um aufwühlende Gefühle oder Begebenheiten von schicksalhafter Bedeutung. Hinter allen Betrachtungen und Beschreibungen scheint die Situation des Menschen auf, der sich uneingeschränkt auf seine Erfahrungen einläßt, ganz gleich, wie schön oder wie schrecklich sie auch sein mögen.
Es ist diese Offenheit und Wahrhaftigkeit, die sich dem Leser des Werkes, wenn er sich denn auf die Herausforderung der Lektüre einläßt, nach und nach mitteilt, so daß sich auch seine eigene Stellung zur Welt und zu sich selbst langsam, aber stetig wandelt. Die Lektüre kommt einem sukzessiven Sich-Öffnen und Aufmerken gleich, einem Suchen nach dem tieferen Kern jedes Eindrucks, jeder zwischenmenschlichen Begegnung, jedem Naturerleben — ja sogar die Kleinlichkeiten und Beschränktheiten einer spießigen bürgerlichen Existenz beginnen durch dieses genauere Hineinspüren und Annehmen von innen heraus zu leuchten und eine eigene wunderbare Schönheit auszustrahlen.
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