GLR | 10.7.2022, Update 6.8., 16.8., 26.8., 28.8., 24.10.
H. P. Lovecraft (1890–1937)
Alle meine Geschichten beruhen auf der grundlegenden Prämisse, daß die allgemeinen menschlichen Gesetze, Interessen und Gefühle im weiten Kosmos keine Gültigkeit oder Bedeutung haben. Für mich ist eine Geschichte, in der die menschliche Gestalt — und die lokalen menschlichen Leidenschaften, Zustände und Normen — als in anderen Welten oder Universen beheimatet dargestellt werden, nichts als kindisch.
Um das Wesen eines wirklichen Außenbezugs zu erreichen, sei es in Zeit, Raum oder Dimension, muß man vergessen, daß Dinge wie organisches Leben, Gut und Böse, Liebe und Haß und all diese lokalen Attribute einer vernachlässigbaren und vorübergehenden Rasse, die sich Menschheit nennt, überhaupt eine Existenz haben. Nur die menschlichen Szenen und Charaktere müssen menschliche Qualitäten haben.
Diese müssen mit schonungslosem Realismus gehandhabt werden (nicht mit Groschenromantik), aber wenn wir die Grenze zum grenzenlosen und abscheulichen Unbekannten überschreiten — dem schattengespenstischen Draußen —, müssen wir daran denken, unsere Menschlichkeit und unser Erdendasein an der Schwelle zurückzulassen.H. P. Lovecraft, in einer Notiz an den Herausgeber von Weird Tales, zur Wiedereinreichung von "The Call of Cthulhu", Quelle: Wikipedia
Die Fußnoten verweisen auf private Anmerkungen von mir. Zu einzelnen Einträgen habe ich Bewertungen1 beigefügt.
Außerdem gelesen; halte ich aber für marginal und empfehle sie daher nicht weiter:
Sunand T. Joshi: I Am Providence — The Life and Times of H. P. Lovecraft I+II, 2013 (engl.) — Extrem ausführlich, über 1.000 Seiten.
Viele üppige Detailausschmückungen kann man überschlagen. Auf der anderen Seite bekommt man vieles an wichtigen, aufschlußreichen Hintergrundinformationen.
Nach dem durch die absurde Ausführlichkeit erzwungenem Durchblättern und Übergehen vieler Passagen war ich am Ende dann doch sehr unzufrieden. Der Autor hat nach meinem Empfinden Lovecraft trotz aller ambitionierten Analysen nicht verstanden. (Ich werde dazu noch ein Video oder Audio aufnehmen.)
Über die eindrucksvolle Sprachbegabung Lovecrafts möchte ich hier nicht viel schreiben; man muß sie selbst erlebt (erlesen) haben.
Seine Beschreibungen erzeugen auf prägnante, zielsichere Weise eine ganz eigene Wirklichkeit. Die Kritik von sogenannten Fachleuten, er würde bestimmte Wörter wie "verrückt", "irrsinnig", "namenlos", "monströs", "grauenvoll", "düster" etc. zu oft verwenden, teile ich überhaupt nicht. Die Wiederholung ist notwendiger Teil eines gewissen hypnotischen Effekts, der den Leser in die gewünschte Stimmung versetzt. Und diese Stimmung ist keineswegs künstlich, gewollt oder aufgesetzt, sondern entspricht einem realen Erleben jedes Menschen. Sie hervorzurufen ist die Meisterschaft Lovecrafts, und ich kenne keinen Schriftsteller, der auch nur annähernd diese spezielle Intensität und Eindringlichkeit zu erzeugen vermöchte.
Was ich besonders genieße, ist die Art, wie Lovecraft rationales Denken, Wissenschaft und Genauigkeit zu dieser Atmosphäre der Düsternis, Angst, Furcht, Verzweiflung, Erschütterung und des kosmischen Grauens hinzufügt. Ich vermute, den meisten ist das noch gar nicht aufgefallen: Beide stehen in einer natürlichen Komplementarität zueinander. So verstanden offenbart sich der Grundansatz des Autors als sehr berechtigte und scharfsinnige Kulturkritik, denn Rationalität hat in unserer momentane Gesellschaftskultur einen Platz eingenommen, der — wie gerade die aktuellen politischen Ereignisse und Umwälzungen beweisen — im Niedergang begriffen ist. Klares, genaues, um Faktizität bemühtes Denken hat nicht nur seinen Wert, sondern ist unverzichtbar. Aber es kann das Leben weder erklären, noch kann es die endgültigen Antworten auf die entscheidenden existentiellen Fragen liefern. Dessen war sich Lovecraft bewußt, und das macht ihn auf seine Weise einzigartig, denn er war zu dieser Erkenntnis selbständig gelangt und mit ihr seiner Zeit weit voraus.
Der Mensch ist nicht, was er meint. Sein Horizont ist zu begrenzt, daher kann er sich nicht in einem Kontext betrachten, der größer ist als die Welt seiner vernunftsmäßigen Projektion. In Lovecrafts Schriften findet sich eine viel umfassende, über Zeit und Raum hinausgehende Perspektive, zu der die ego-fixierte, beschränkte Selbstsicht, die das moderne Individuum vor allem durch eine irreführende kulturelle Konditionierung und Programmierung erhalten hat, nicht imstande ist.
Daß seine Schriften mit Furcht, Grauen und Bedrohung zu tun haben, ist keine bloße Marotte oder eine durch die Spezialisierung auf ein erzählerisches Genre bedingte Festlegung. Sondern Furcht, Grauen und Bedrohung erschüttern und führen aus der nur eingebildeten Sicherheit der Durchschnittsexistenz hinaus. Sie sind ein Mittel der Erweiterung und der Erneuerung.
1 Subjektive Bewertung von GLR: 0 (sehr schlecht/nicht beendet) → 5 (sehr gut)
2 Diese Erzählungen bekommen von mir nicht nur die volle Punktzahl, sondern ich finde sie — natürlich vorwiegend aus persönlichen, nicht aus "objektiven" Gründen heraus — überragend.
3 Reine Fantasy-Erzählung mit endlosen Beschreibungen irgendwelcher geträumter Erlebnisse; Fabelwesen, Fabellandschaften und Fabelstädte mit Fantasienamen; aber alles leider nur Dekor und ohne Substanz. Für mich komplett ungenießbar. Leider ein großer Abstieg, verglichen mit den übrigen Werken Lovecrafts!
4 → E. Hoffmann Price (Wikipedia)
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